
Madame Neess, wie fühlt es sich an, einen unschätzbaren Reichtum
zu verschenken?
Tatsächlich lässt sich der Wert der Sammlung kaum beziffern. Um den
monetären Wert ging es uns nie, sondern um Ästhetik. Mein Mann erwarb seit den 1970er-Jahren Spitzenqualität – von jedem Künstler nur das Beste. So bescheiden er selbst war, so prächtig gestaltete er die Sammlung in der Villa Neess hier in Wiesbaden. Ich war atemlos vor Begeisterung, als ich sie das erste Mal sah! Aber Jugendstil ist nicht jedermanns Sache. Ferdinand war ein Gentleman, hat aber sehr selektiv in die Villa eingeladen. Für ihn war jedes Exponat wie ein Kind, um das er sich bemüht hatte, das er schätzte und liebte. Empfand das jemand als ›kitschig‹ oder ›überladen‹, war das eine regelrechte Kränkung. Umso schwieriger war zu entscheiden, was mit dieser Schatztruhe geschehen sollte. Es gab zwei Alternativen: Entweder einzelne Stücke verkaufen – damit hätte man einen fulminanten Lebensabend finanzieren können. Oder die Sammlung erhalten und für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Wir haben uns für diesen Weg entschieden, um das Lebenswerk meines Mannes zu erhalten. Deshalb war es eine große Erleichterung, als wir die Schenkung an das Museum Wiesbaden 2019 abschließen konnten. Nicht zuletzt dank des Kustos Dr. Peter Forster, der ihren Wert erkannte und den nicht einfachen Weg, jedes einzelne Exponat zu übertragen, mit uns gegangen ist. Schließlich hat die Sammlung ihr neues Zuhause gefunden. Mein Mann war darüber sehr glücklich.

Ein Jahr nach der Schenkung ist er 90-jährig verstorben.
Das ist der eigentliche, schwere Verlust. Aber er hat noch erlebt, dass die Sammlung breite Aufmerksamkeit beim Publikum und in den internationalen Medien erfährt. Und ich sehe, wie sein Werk gewürdigt wird und er darin weiterlebt. Diese gemeinsame Leidenschaft fürs Sammeln war unser Reichtum – erfüllte Jahre mit Wind und Wetter, Gesundheit und Krankheit, Schicksalsschlägen und sehr glücklichen Stunden. Viele Menschen verwechseln Reichtum mit Wohlstand. Nicht Geld macht reich, sondern das Leben.
Schön gesagt! Wiesbaden konnte seinen Sammlungsschwerpunkt durch Ihre Schenkung substanziell erweitern und das Museum gehört nun zur European Art Nouveau Route. Wie ist Jugendstil zu Ihrer Leidenschaft geworden?
Mein Mann hat mich angesteckt. Mir war klar, dass ich mich mit dem Jugendstil sehr intensiv auseinandersetzen möchte. Wir haben hier in Wiesbaden im wahrsten Sinne des Wortes mit der Sammlung gelebt, denn es handelt sich um Dinge des täglichen Lebens wie Möbel, Service, Bestecke, Teppiche, Spiegel, Literatur. Dabei ist manches im Alltag nicht zu gebrauchen wie unser ›Seerosentisch‹. Oder denken Sie an die Tischleuchte ›Danseuse à l’écharpe‹ – eine Hommage an die Elektrifizierung, die auf der Pariser Weltausstellung 1900 mit einer Goldmedaille prämiert wurde. Ferdinand hat mir in 16 gemeinsamen Jahren als ›mein Professor‹ eine eigene Welt erschlossen.


Seine Leistung ist umso bemerkenswerter, als er Autodidakt war. Sie setzen das Sammeln fort, haben dem Museum gerade das Werk ›Der Tod und das Mädchen‹ zukommen lassen, geschaffen von Friedrich König, einem Mitbegründer der Wiener Secession.
Ein wunderbares Gemälde aus dem Jahr 1912. Was mich an der Sammlung nach wie vor begeistert, ist ihre Internationalität. Diese kulturelle und menschliche Offenheit brauchen wir gerade jetzt, wo es gilt, zusammenzuhalten. Niemand sollte sich in einer ›Blase‹ abgrenzen.
Tatsächlich gilt der Jugendstil als letzte gemeinsame internationale Kunstsprache.
Zwischen 1866 und 1914 herrschte ein großer kultureller Reichtum, der an nachfolgende Generationen weitergegeben werden sollte. Es hat einen Anfang, darf aber kein Ende haben. So viel gibt es aus dieser Zeit noch zu entdecken! Die hochkarätige Fachbibliothek, die wir im nächsten Schritt der Schenkung öffentlich zugänglich machen wollen, soll dazu beitragen. Allerdings fehlt dafür bislang der Platz im Wiesbadener Museum.
Außerdem fördern Sie eine spezielle Leidenschaft Ihres Mannes, das Flötenspiel. Sie haben in Zusammenarbeit mit Cordula Hacke den Internationalen Flötenwettbewerb mit Musik aus der Zeit des Jugendstils und Symbolismus ins Leben gerufen und ein Stipendium ausgeschrieben.
Ja, ich kann mein Wissen nicht als Pädagogin weitergeben. Aber die Sammlung sichtbar zu machen, sogar zu erweitern, und junge Menschen über Musik den Zugang zu der Epoche zu ermöglichen – das tue ich mit Leidenschaft und nehme zur Not im Museum auch mal das Staubtuch zur Hand, wenn es sein muss.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Neess!

Sammlung F.W. Neess
Museum Wiesbaden
Friedrich-Ebert-Allee 2
65185 Wiesbaden
0611 3352250
Öffnungszeiten:
Di, Do 10–20 Uhr, Mi, Fr 10–17 Uhr,
Sa, So, Feiertage 10–18 Uhr
Mo geschlossen
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