7 Bücher, die es sich zu Lesen lohnt

Lieblingsbücher, die wir in den letzten Jahren gelesen haben.


07

Pure meaning, pure poetry

Die Reime »es war still / ein Leuchtturm ein rettich ein bäumchen / rückten näher zusammen«, lesen sich auf Volapük: »ästilos / far e raf e bimil / änilükons odis«. Dieses Idiom ist nur eine von zig Plansprachen, mit denen sich Clemens J. Setz in seinem neuen Buch beschäftigt. Manche Geschichten sind traurig wie das Los der ›Endlinge‹ in der Tierwelt, wenn es zum Beilspiel nur noch einen überlebenden Sprecher gibt; andere sind ergreifend, wenn etwa geschildert wird, wie sich ein Kind mit Behinderung durch die Symbolsprache Bliss zum ersten Mal verständlich machen kann. Allen gemein ist die getreue Befolgung des Mottos: ›Erzähl die beste Geschichte, die Du kennst, so wahr wie möglich!‹ Nach seinem sensationellen ›Trost runder Dinge‹ beweist Setz erneut, wie würdig er für den diesjährigen Kleist-Preis war! Und er belegt einmal mehr, dass die besten deutschen Schriftsteller eigentlich Österreicher sind. 

Clemens J. Setz: Die Bienen und das Unsichtbare. Suhrkamp Verlag. 416 Seiten. ISBN: 978-3-518-42965-5; 24 EUR


›Poet in Residence‹

Richard Brautigan war uns natürlich aus dem Studium bekannt und wir behielten den bettelarmen Poeten der Hippiekultur in hohem Ansehen. Nun wagt der Zürcher Kein & Aber Verlag eine Neuauflage, und wir sind in der glücklichen Lage, sie mit Brautigans Dystopie ›In Watermelon Sugar‹ bekannt zu machen. Schauplatz ist die Kommune iDeath (Anleihen eines anderen Beatniks für seine MacIntosh-Produkte sind möglich). Brautigan schildert einen postapokalyptischen Ort, an dem die Sonne jeden Tag in einer anderen Farbe scheint, an dem die Landschaft sich ständig verändert, die meisten Dinge aus Wassermelonenzucker bestehen. Doch das Bild des perfekten Hippie-Glücks in dieser zuckerigen Idylle trügt: Eine Gang mit ihrem Anführer inBOIL probt den Aufstand, andere verlieren sich in sogenannten ›Alten Werken‹, Gemeinschaft und Beziehungen werden sinnlos. Ein unterhaltsames wie abgründiges Büchlein, das bereits einen Abgesang auf 1968 anstimmte, bevor diese Generation sich erst etablieren konnte. 

Richard Brautigan: In Wassermelonen Zucker. Kein & Aber Pocket. ISBN: 978-3-0369-5992-4; 12 EUR

06

05

Epos vom Dreißigjährigen Krieg

Von Daniel Kehlmann konnte man sich immer einen vielversprechenden Roman erwarten, vor allem, wenn er sich einer historischen Persönlichkeit annahm, um die überlieferte Biographie in ein allerfeinstes fiktionales Gespinst einzukleiden. Das ist ihm in ›Tyll‹, seinem großen Roman über die Macht der Kunst und den Verwüstungen des Krieges wieder gelungen. Wir Leser tauchen ein in diese aus den Fugen geratene Welt zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in die Tyll Ulenspiegel – Vagant, Possenreißer und Provokateur – hinein geboren wird. Auf seinen Wegen durch das von Religionskriegen verheerte Land begegnen ihm der Henker Tilman, der Jongleur Pirmin, der sprechende Esel Origenes, der Arzt Paul Fleming, der Jesuit Tesimond und der Weltweise Athanasius Kircher. Schwelgen Sie mit uns in diesem herrlich barocken Schmöker!

Daniel Kehlmann: TYLL. Rowohlt Verlag. 480 Seiten. ISBN: 978-3-498-03567-9; 22,95 EUR


Eine ruhmreiche Partie

Die Mini-serie ›Das Damengambit‹ feierte im letzten Jahr weltweit Streaming-Rekorde und löste einen regelrechten Hype ums Schachspielen aus. Schach ist eben auch eine perfekte Aktivität zu Pandemiezeiten: ein Spiel für Zwei und da eine Partie meistens länger dauert als geplant, vergeht auch die Zeit wie im Flug. Das Genie hinter der Geschichte ist Walter Tevis. Von dem amerikanischen Schriftsteller wurden bereits sechs Romane hochkarätig verfilmt. Mit ›DasDamengambit‹ wurde sein Werk nun wiederentdeckt, und es lohnt sich, auch für diejenigen, die die Serie bereits gesehen haben, die Geschichte von Beth Harmonie in Schriftform zu verfolgen. Im Mai ist die deutsche Übersetzung von Gerhard Meier erschienen: ein Muss für alle Serienjunkies und Schachfreunde! 

Walter Tevis: Das Damengambit. Diogenes. 416 Seiten. ISBN: 978-3-257-07161-0; 24 EUR

04

03

Waldgeist mit Samuraischwert

Wahnsinn praktikabel für Kunst zu machen, darin kennt sich Regisseur und Autor Werner Herzog weiß Gott aus. Als ›Dompteur‹ Kinskis brachte er den wilden Mimen mit den gelben Haaren zweimal dazu, im Urwald große Filme zu drehen. In denkwürdigen Interviews sprach Herzog damals vom »overwhelming collective murder« der Tropen; wer schien geeigneter, um die tragische Geschichte Hiroo Onodas aufzuschreiben? Noch einmal taucht Herzog mit dem jungen Nachrichtenoffizier in die radikalste Fauna auf Erden ein. Auf Lubang, einer philippinischen Halbinsel, hatte Onoda den Auftrag, diesen unbedeutenden Vorposten des japanischen Kaiserreichs allein zu halten, bis MacArthur besiegt wäre. Die Zerstörung Hiroshimas und Nagasakis bekam er nicht mit, weiter flogen die Bomber über sein Versteck im Dschungel, aber nun zu Zielen in Korea und später Vietnam. Bis 1972 setzt er seinen Einmann-Guerillakrieg unbeirrt fort, bis Suzuki Norio, ein junger Student, ihn – mehr Gespenst als Mensch – aufspürt, und davon überzeugen kann, dass Onoda die Kapitulation Japans um fast 30 Jahre verpasst hatte. Das ›Dämmern der Welt‹ setzt Starrsinn ein Denkmal und fast möchte man die 128 Seiten lesen, ohne Atem zu schöpfen.      

Werner Herzog: Das Dämmern der Welt. Hanser Verlag. 128 Seiten. ISBN: 978-3-446-27076-3; 19 EUR


Träume von Räumen

Unsere ganz persönliche Umgebung – ob Zimmer, Wohnung oder Haus – war in den letzten Jahren unser essenziellster Raum. Dem Raum an sich, hat George Perec bereits 1974 ein gesamtes Buch gewidmet. Von einem Blatt Papier über das Bett, die Wohnung, dem Mietshaus bis hin zu Europa und der gesamten Welt reichen seine Überlegungen, die er darüber anstellt, was Raum eigentlich bedeuten mag. Philosophisch und mit größtem Charme zugleich regen seine oft absurden Reflexionen zum Nachdenken an. Ein Buch, das aufmuntert und den Blick für diese ominösen eigenen vier Wände schärft: »Ich weiß nicht mehr, dass es in meiner Wohnung Wände gibt und dass es, wenn es keine Wände gäbe, auch keine Wohnung gäbe.«

Georges Perec. Träume von Räumen. Diaphanes Verlag. 160 Seiten. 
ISBN-13: 9783037343265; 12,95 EUR 

02

01

Ewig Deutsch der Göße Wahn

Jedes Jahr darf man sich auf einen neuen Roman des Juristen Bernhard Schlink freuen und selten unterschreitet er die Benchmark, die er sich einst mit ›Der Vorleser‹ schuf. Mit Olga, der Heldin, leistete Schlink 2018 wieder, was die Belletristik besonders gut vermag. Die lastende Vergangenheit den Schultern einer sympathischen Figur aufladen, die als (taube) Stimme der Vernunft parallel zur Ehe mit dem proto-deutschen Gutsherrensohn Herbert ihre Version der Geschichte erzählt: von der Kindheit in Pommern über den Kolonialkrieg gegen die Herero durch die Weimarer Zeit ins Dritte Reich und bis zu den Studentenrevolten – wahrlich Kassandrablicke, auch wenn Olga für eine Kassandra zu bescheiden ist. 

Bernhard Schlink: Olga. Diogenes Verlag. 320 Seiten. ISBN: 978-3-257-07015-6; 24 EUR